Forschungsthemen und Methodik
Die Entwicklung eines nationalen Sicherheitsforschungsinstituts im KIRAS-Projekt SFI@SFU sieht sich der Verfolgung und Weiterentwicklung der vom Nationalen Sicherheitsrat definierten sicherheitsbezogenen Ziele der Republik Österreich verpflichtet und möchte einen essentiellen Beitrag zur (weiteren) wissenschaftlich fundierten Ausgestaltung sicherheitspolitischer Konzepte leisten. Methodisch durch einen umfassenden Ansatz (comprehensive approach) geleitet, verfolgen wir die Weiterentwicklung von Sicherheitsforschung in diesem übergeordneten Rahmen.
Wir widmen uns der systematischen Analyse menschlicher (individueller wie sozial vermittelter) Bedürfnisse und sehen darin einen wesentlichen Beitrag zur Erhebung des Bedarfs an Sicherheit als öffentlichem Gut und der sozialen Akzeptanz technischer Lösungen für Sicherheitsprobleme. Diesem Feld zwischen subjektiver Wahrnehmung von (Un-)Sicherheit in der österreichischen Bevölkerung und objektivierbarer Sicherheitslage gilt besondere Aufmerksamkeit, vor allem im Hinblick auf die Optimierung der Krisen- und Risikokommunikation (der öffentlichen Hand) in Extremsituationen.
Wir sind uns bewusst, dass kulturelle Faktoren großen Einfluss auf Handlungsmotivationen, kognitives Wissensmanagement und Risikowahrnehmung haben und eine entscheidende Rolle in der Erzeugung gesellschaftlicher Sicherheit in und für Österreich spielen. Im Rahmen fachübergreifender Risikoforschung sollen daher kultur- und bewusstseinsbezogene Kriterien für die Kritikalität von Infrastruktur entwickelt werden, darüber hinaus geht es auch um eine Erforschung (gesamt-)gesellschaftlicher Auswirkungen bei Ausfall von Kritischer Infrastruktur im Zusammenhang mit dem Spannungsfeld zwischen security und integrity.
„Sicherheit“ ist immer auch als gesellschaftlich vermittelter Prozess zu sehen. Für die Sicherheitsforschung ergibt sich daraus die Aufgabe, über die Entwicklung rein technischer bzw. bloß technisch machbarer Sicherheitslösungen und Produkte hinauszugehen und deren Verortung im Herzen der Gesellschaft zu untersuchen. Dies geschieht durch die Integration der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften (GSK). Diese leisten in mehrfacher Hinsicht einen wesentlichen Beitrag:
Aufgrund der großen Bedeutung der Thematik widmen wir uns auch Fragen der Technikpsychologie. Dabei soll der Erkenntnisstand der Technikpsychologie um einen Fokus auf sicherheitsbezogene Fragestellungen erweitert werden. In einer daraus folgenden, integrativen technikpsychologischen Forschung wird eine Analyse der relevanten Sicherheitsbedürfnisse (security needs) auf Erzeuger- und Anwenderseite mit einbezogen. Das technikpsychologische Erkenntnisinteresse richtet sich dabei insbesondere auf Aspekte der Gebrauchstauglichkeit (human usability) technologischer Lösungen für Sicherheitsprobleme und deren psychische Auswirkungen auf das Individuum und auf den sozialen Überbau von Risikowahrnehmung (Angstprozesse, fear of crime, privacy u.a.m.).
Im Bereich der Krisen- und Katastrophenforschung wollen wir einen Beitrag zum Schritt von der Panik- zur Resilienzforschung leisten, die nicht auf das Unterdrücken, sondern auf das Fördern adaptiven individuellen und kollektiven menschlichen Handelns in Katastrophenfällen ausgerichtet ist. Ziel muss es letztlich sein, die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung zu erhöhen.
Das KIRAS-Prokjekt SFI@SFU umfasst folgende Arbeitspakte (Abbildung 1):
Abbildung 1: Arbeitspaketstruktur des KIRAS-Projekts SFI@SFU.
Im Rahmen der fachlich-inhaltlichen Arbeitspakete 2, 3 und 4 stehen folgende Zielsetzungen im Vordergrund:
GSK-Aspekte in Definition und Schutz Kritischer Infrastruktur (AP2)
Die systematische Analyse menschlicher (individueller und sozial vermittelter) Bedürfnisse ist ein wichtiger Bestandteil der Erhebung des Bedarfs an Sicherheit als öffentliches Gut und der sozialen Akzeptanz technischer Lösungen für Sicherheitsprobleme. Sie gibt Aufschlüsse über das Verhältnis von (Un-)Sicherheitsperzeption zur objektivierbaren Sicherheitslage und liefert Grundlagen für die Optimierung von Risiko- und Krisenkommunikation der öffentlichen Hand sowie zur Effizienzsteigerung präventiver und interventionistischer Maßnahmen. Im Speziellen soll im Rahmen dieses Arbeitspaketes die Erforschung der gesellschaftlichen Auswirkungen bei Ausfall von Kritischen Infrastrukturen vorangetrieben sowie im Rahmen des umfassenden Ansatzes von KIRAS der Begriff „weiche“ kritische Infrastruktur elaboriert werden, zu dem Aspekte wie Resilienz und das Spannungsverhältnis zwischen security und integrity (insbes. liberale Freiheitsrechte und demokratische Legitimität von Entscheidungen über sicherheitssteigernde Maßnahmen) zu zählen sind.
Politik umfassender ziviler Sicherheit (AP 3)
Das KIRAS-Programmdokument beschreibt Sicherheit als öffentliches und zugleich von der öffentlichen Hand bereitzustellendes Gut. Im Lichte dessen bedürfen staatswissenschaftliche Aspekte von Sicherheit der österreichischen Bürger/-innen einer breiten Aufarbeitung. In diesem Arbeitspaket sollen deshalb – auch im Vergleich der internationalen zur österreichischen Perspektive – relevante Forschungsstränge im Bereich zivile Sicherheit mit dem integrativen Ansatz gesamtstaatlicher Sicherheitsforschung verknüpft werden. Ebenso soll eine thematische Verbindung zu Herausforderungen einer wissenschaftlichen Analyse vor dem Hintergrund eines comprehensive approach im Dienste der Sicherheit aller Bürger/-innen hergestellt werden. Dazu gehört Grundlagenarbeit zur Forschungslogik und Methodik. Hierbei wird auch – in Einschätzung der Übertragbarkeit auf Österreich – auf Konzepte und Ergebnisse der Sicherheitsforschung im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm zurückgegriffen.
Krisen- und Katastrophenforschung (AP 4)
Es ist ein wichtiger Bestandteil dieses Arbeitspaketes, praktisch aufgreifbare wissenschaftliche Grundlagen für die präventive und prospektive Änderung von Verhaltensdispositionen zu ermitteln. Der Mainstream der Katastrophenforschung konzentriert sich außerdem unter dem Leitbegriff consequence management auf die zweite Hälfte des Ereignishorizonts (ab der Reaktion auf den Schadenseintritt). Consequence management muss sich auch auf bestimmte alltagsweltliche und katastrophenkulturelle Grunddispositionen in einer Gesellschaft stützen können. Deshalb beginnt consequence management bereits vor dem Ereigniseintritt, und gerade in diesem Sinn ist es ein Bestandteil von Sicherheitsforschung. Ziel ist deshalb die Klärung insbesondere folgender Aspekte: (1) Kommunikativer und informativer Zugang zum Bürger in mitigation, preparedness und response; (2) Wandel und Stabilisierung von Sicherheitskulturen (kulturelle Faktoren bei der Herausbildung spezifischer Verhaltens- und Erwartungsmuster); (3) Einbeziehung der europäischen Dimension und in einer daraus resultierenden vergleichenden Analyse zum österreichischen System.
SFI@SFU-Methodik
Interdisziplinär kombinierte Forschungsteams bearbeiten die jeweiligen Arbeitspakete und arbeitspaketspezifischen sowie -übergreifenden Aufgaben, wobei die Arbeiten jeweils unter der Leitung eines/einer interdisziplinär ausgewiesenen/r Experten/-in synoptisch synchronisiert werden. Dadurch wird konsolidiertes integriertes Zusammenwirken der beteiligten Fachrichtungen in einem gemeinsamen Rahmen als Grundlage für die Entwicklung des Sicherheitsforschungsinstituts erzielt und über die Schaffung einer administrativen Plattform, die dann in einzelnen Projekten Expertise einbindet und Ergebnisse interdisziplinärer Forschung verbreitet, hinausgegangen. Vielmehr wird die Grundlage für eine nachhaltige Tätigkeit bereitet, die in integrierter Arbeit von Sicherheitsforschen/-innen besteht.
Darüber hinaus nimmt ein Beratungsgremium (Beirat) an den Arbeiten begleitend teil, der aus wesentlichen Bedarfsträgervertretern besteht und direkter Bestandteil des Projekts ist. Insbesondere vermittelt der Beirat auch weitere Expertise, um zum Beispiel im Rahmen von bereits wiederholt durchführten Bedarfsträgerworkshops gemeinsam fachübergreifenden Wissensbedarf zu identifizieren, der in Rahmen der Ziele und Aufgaben des Projekts gedeckt werden kann.
Des Weiteren verfügt das Projekt SFI@SFU mit dem Arbeitspaket 5 über einen Rahmen, um Bedarfsträger und weitere stakeholder, insbesondere aus der Sicherheitswirtschaft, direkt in die Forschungsarbeit und die Konzeption der Ergebnisse sowie der Art ihrer Vermittlung und Verbreitung einzubeziehen. Dies geschieht vor allem auch in Form von selbst konzipierten und ausgerichteten Workshops, in denen die Mitarbeiter/‑innen des Projekts gemeinsam mit externen Experten/-innen produktiv zusammenarbeiten und bedarfsgerechte Ergebnisse entwickeln.
Die nachstehende Abbildung 2 fasst die Arbeitsprozess-Struktur des Projekts SFI@SFU zusammen.
Abbildung 2: Arbeitsprozess-Struktur des KIRAS-Projekts SFI@SFU.
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(sfi-sfu.eu – 18.08.2011)
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