Wolfgang WAGNER / Marion Gräfin DÖNHOFF / Lutz HOFFMANN / Karl KAISER / Werner LINK / Hanns W. MAULL (Hg.): Jahrbuch Internationale Politik 1995 - 1996. Redaktion: Sebastian BARTSCH. München 1998. R. Oldenbourg Verlag. 423 S. 98,- DM.

Alexander Siedschlag

Der den Zeitraum 1995/1996 abdeckende 22. Band der Jahrbücher des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) hat mit Erfolg grundlegende neue Herausforderungen angenommen: Rüstungskontrolle und Flüchtlingsmigration als globale Probleme, der immer enger und komplizierte werdende Zusammenhang von internationaler Politik und Wirtschaft, der Afrikanische Kontinent zwischen Frieden und Konflikthort, zugespitzte Konfliktkonstellationen vom Mittelmeerraum und nahen Osten bis zum indischen Subkontinent, die neue Dynamik und die Schwierigkeiten der europäischen Integration, verbunden mit dem Wandel des politischen Europabegriffs hin zur Bezeichnung nicht nur Westeuropas, sondern eines ganzen Erdteils, sowie die Stärkung politischer und wirtschaftlicher Regionalkooperation und -integration in Südamerika und Südostasien.

Unverständlich allerdings ist, warum die Rolle der UNO und die Diskussion über diese Rolle sowie auch die Entwicklungen und Probleme deutscher Außenpolitik nicht mit eigenen Beiträgen berücksichtigt worden sind. Hier hat sich im Berichtszeitraum 1995/1996 doch einiges getan, und das Jahr 1995 markierte immerhin das 50-jährige Jubiläum der Vereinten Nationen. Dieser Informationsmangel wird jedoch halbwegs ausgeglichen durch das wie gewohnt elaborierte Personen- und Sachregister, wohingegen die themenbezogenen Literaturhinweise in Anhang nicht nur teilweise löchrig geraten sind, sondern sich stellenweise auch in wenig einschlägigen verstreuten Artikeln verheddern, statt mittlerweile vorliegende Monographien zu Themen aus dem Berichtszeitraum zu berücksichtigen. Angesichts des selbst gestellten Anspruchs des Jahrbuchs, internationale Politik aufgrund authentischer Quellen darzustellen, erscheint es außerdem problematisch, daß mehrere der Beiträge nicht gerade auf einer eben beispielhaft soliden Quellengrundlage stehen: wiederholt bilden Artikel aus Tageszeitungen, Beiträge zur politischen Bildung oder interne Forschungspapiere maßgeblich diese 'dokumentarische' Grundlage - und man fragt sich bisweilen, wozu die DGAP denn eigentlich eine eigene Bibliotheks- und Dokumentationsstelle unterhält.

Doch es sind unter den 31 Beiträgen diverse äußerst gelungene enthalten, welche die Zielsetzung des Jahrbuchs, zugleich Arbeitsmittel, Einführungs- und Nachschlagewerk sowie Analyse zu sein, ebenso unterstreichen wie beispielhaft einlösen. Als Autoren stellvertretend genannt seien dabei Franz Ansprenger (Westafrika), Heribert Dieter (Australien und Neuseeland), Sebastian Heilmann (VR China), Bernhard May (Welthandelsorganisation) und Frank Umbach (Regionalkooperation Asien-Pazifik). Hier werden nicht nur - in brillanter sprachlicher Darstellung - interessante Argumentationslinien überzeugend entwickelt, Grundprobleme und -tendenzen der internationalen Politik erklärt und verbreitete Fehlinterpretationen aus dem Weg geräumt, sondern auch klare Fazite gezogen, was die jeweilige Entwicklung im Berichtszeitraum charakterisiert hat und wie sie aller Voraussicht nach weitergehen wird.

Überhaupt ist es überlegenswert, ob man in den folgenden Jahrbüchern nicht allen Beiträgen ein gemeinsames Schema für solch ein Fazit zugrunde legt. Darüber hinaus hätte man schon in diesem Band gut daran getan, das analytisch scharfe Vorwort der Herausgeber, das auch die Kernaussagen einzelner Beiträge anspricht, und die essayistische, aber auf wichtige übergeordnete Entwicklungstrends hinweisende Einleitung von Wolfgang Wagner, dem geschäftsführenden Herausgeber, zu einer gemeinsamen Ouvertüre zu vereinen. Als Pendant dazu wäre im Anhang eine Zeittafel zu den angesprochenen Problemkreisen wünschenswert, zumal die ebenfalls von der DGAP besorgte Zeitschrift Internationale Politik ja leider ihre Weltchronik eingestellt hat. Schließlich wäre auch der angesichts der behandelten Wandlungsprozesse eher störrisch erscheinende Rekurs auf doch etwas angestaubte Konzepte wie Macht, Konkurrenz, Stabilitätsanker und Gleichgewicht abzuschwächen. Auch in bezug auf die Analysebegriffe kann weltpolitischer Wandel Umdenken erfordern. Mit derartigen Abrundungen ließen sich die Jahrbücher, die völlig unbestritten Standardwerk sind, noch besser als praktische Arbeitsmittel und vor allem in der universitären Lehre einsetzen. Dessenungeachtet: in einer Bibliothek oder - in Form der preislich erheblich günstigeren Studienausgabe - einem häuslichen Handapparat fehlen sollten die Jahrbücher schon jetzt nicht.


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